on 09 June 1998

Friseure ebnen den Kandidaten den Weg

St. Petersburg - Der "Olympus Musicus", von Irina Nikitina zum dritten Mal hoechst erfolgreich aufgerichtet, vereint fuer sechs Konzertabende Wettbewerbsgewinner der Musik aus aller Welt. Er gibt ihnen Gelegenheit, sich der anspruchsvollsten aller denkbaren Jurys zu stellen: Dem Publikum, das gluecklicherweise gerade in St. Petersburg besonders musikenthusiastisch ist.

Das macht den jungen Kuenstlern den Aufstieg zum "Olymp" angenehm, wenn auch nicht eben leichter. Man ist in St. Petersburg geuebt, genau hinzuhoeren, und das zahlt sich nicht immer zugunsten der hohen Selbsteinschaetzung mancher junger Musiker aus.

Nikolaj Znaider (23) aus Daenemark, Sieger im Bruesseler Koenigin-Elisabeth-Wettbewerb fuer Violine, brauchte freilich die Herausforderung nicht zu scheuen, er spielte das a-Moll-Konzert von Max Bruch in grossartig durchgestalteter Manier, fernab aller Sentimentalitaeten: ein Geiger mit sicherem Zugriff, perfekter Intonation und feinem Gefuehl dafuer, wieviel Pathos das Bruch-Konzert vertraegt und wieviel es verlangt.

Ausgerechnet Novosibirsk scheint eine Art Paradiesgarten fuer Geiger. Der dort geborene Georgy Wasilenko (24), Sieger im Szymanowski-Wettbewerb von Lodz, besass prompt fuer den grossen Musik-Polen die pointensichere, glueckliche Hand und sah sich dabei von den St. Petersburger Symphonikern unter dem wendigen Dorian Wilson (USA), jawohl, auch ein Preistraeger, schlagkraeftig und wirkungssicher begleitet.

Wilson stand auch dem italienischen Gйza-Anda-Preistraeger Corrado Rollero spornend zur Seite, der sich der beiden arg vernachlaessigten Konzertsaetze Robert Schumanns annahm: des Allegro d-Moll op. 134 und des Appassionato G-Dur op. 92, zwei knifflige Saetze. Neben seinem interpretatorischen Sturm und Drang nahm sich Mozarts d-Moll-Konzert KV 466, von der Franzoesin Delfin Barden (24) gespielt, der Siegerin im Clara-Haskil-Wettbewerb, bei aller schoenen Gradlinigkeit und Ziselierung eher hochanstaedig brav und herkoemmlich aus. Auch das musikalische Auftrumpfen will schliesslich gelernt sein. Manch einer der jungen Musiker ist versucht, die hohe Kunst des Bluffens zu wagen. In St. Petersburg kommt man freilich damit nicht weit.

Es wurde aber immerhin deutlich, dass auch die musikalische Interpretation neuerdings vor die Kameras draengt und den Show-Effekt gerne in die Darstellung einbezieht. Was frueher die Klavierstimmer waren, sind heute offenbar die Friseure: Sie buersten mit vereinten Kraeften ihren Schuetzling den Weg in kuenftige Fernseh-Shows hinein.

Auf die sind freilich Marimba-Spieler wie der famose Markus Leoson aus Stockholm, Preistraeger im Muenchner ARD-Wettbewerb, auch angewiesen. Schlagzeuger von Rang haben es naturgemaess schwer, ihren Weg zum Erfolg buchstaeblich einzuschlagen. Leoson bediente sich dazu einer Suite von Fritz Kreisler, durchtrommelte aber auch geduldig - und insgeheim vielleicht auch ein bisschen verzweifelt - den Bolero von Maurice Ravel in einem Arrangement fuer drei Balaleikas und Akkordeon: ein kaprizioeses Ensemble, das auch vor einer Neufassung von Schuberts "Ave Maria" nicht zurueckschreckte. Wetten, dass es demnaechst bei Thomas Gottschalk im Fernsehen auftauchen wird?

Der "Olympus Musicus" besitzt in Irina Nikitina die denkbar charmanteste Spielleiterin. Zur 100. Wiederkehr des Todesjahres von Johann Strauss wie zur Erinnerung an das regelmaessige Auftreten seiner Kapelle im Kursaal von Pawlowsk wird sie an Silvester mit den St. Petersburger Philharmonikern unter Mariss Jansons der alten Walzerseligkeiten in der Philharmonie zunaechst konzertant gedenken und sie dann tanzend hinueberschaeumen lassen in den festlichen Marmorsaal vis-a-vis zum Silvesterball. Wien und Berlin bekommen zum Jahresausklang musikalische Konkurrenz.

 

Author: Klaus Geitel   Edition:: Die Welt   Date: 09.06.1998