on 01 June 1999

Mit Frack und feuchten Haenden

Sankt Petersburg feiert Johann Strauss, und es hat - tritsch tratsch - allen Grund dafuer. Denn nicht nur die Tritsch-Tratsch-Polka, die Weltberuehmte, an der sich inzwischen anderthalb Jahrhunderte nicht haben satt hoeren koennen, hat Ivan Straus, wie man ihn in Russland nannte, nahe der russischen Kaiserstadt neben Hunderten anderen Stuecke komponiert, er hat mit seinem Orchester zehn Jahre lang, jahrein, jahraus, mindestens fuenf Monate lang jaehrlich in Pawlowsk musikalisch hofgehalten: ein Langstrecken-Entertainer und musikalischer Herzensbrecher von Rang.

Jetzt, im Jahr der 100. Wiederkehr seines Todestages, hat St. Petersburg die Welt zu einem ungewoehnlichen Gedenken geladen: einem zweitaegigen Johann-Strauss-Fest mit Ball im Marmor-Saal Alexanders III., mit einem Galakonzert der St. Petersburger Philharmoniker, mit schnuckligen Debuetantinnen an der sicherlich feuchten Hand junger Fracktraeger, mit Modenschauen und Soubretten-Gegirr, mit schwarzem und rotem Kaviar und oesterreichischem Wodka.

Ein Erlebnis, mit 600 Dollar (wenn man sie hat) sicherlich nicht zu viel bezahlt. Prompt lagen sich die Buergermeister von Wien und St. Petersburg eintraechtig in den Armen. Schliesslich ist die famose Polka "Im Pawlowsk-Walde" identisch mit jener, die in Wien unter dem Titel "Im Krapfenwaldl" op. 336 getanzt wurde. Die Titel wechselten, die Noten blieben die selben.

Pawlowsk war eine Reise wert. 30 km vor der Kaiserstadt, im Schatten der kaiserlichen Sommerschloesser, hatte eine ruehrige Eisenbahngesellschaft einen gigantischen Amuesierbetrieb aufgezogen, dem jedes Jahr hunderttausend Reisende zustroemten. Ihnen hatte man im "Vauxhall" einen Musikpalast mit 3000 Plaetzen errichtet, und den zu bespielen hatte man Johann Strauss und seine Kapelle verpflichtet. Der Vertrag machte den Walzer-Koenig zum schwerreichen Mann. Zwischen 1856 und 1865 kehrte er regelmaessig wieder und gab sogar 1869 noch ein allerletztes Gastspiel. Die Katze laesst nun einmal das Walzen und Mausen nicht, und einer der Nachfolger Straussens im Pawlosker Polkawald wurde prompt Benjamin Bilse, dessen aufruehrerischer Kapelle am Ende das Berliner Philharmonische Orchester im wahrsten Sinne des Wortes entsprang. Natuerlich stuetzten sich Straussens kuenstlerische Aktivitaeten nicht ausschliesslich auf eigene Werke. Er hatte ein feines Ohr fuer die frisch entstehende russische Musik. Er fuehrte Glinka auf und die allererste sinfonische Komposition von Peter Tschaikowsky. Er pfefferte seinen Hoerern Ouvertueren von Richard Wagner um die Ohren, Arien von Rossini, Ballette von Verdi. Er spielte auf der Hoerlust seines Publikums mit gleicher Empfindsamkeit, Einfuehlungsgabe und musikalischem Elan wie heutzutage Discjockeys auf den rhythmischen Rappel der ihren. Nur war Strauss eben doch in seiner Programmauswahl, seiner Lust am Neuen und Allerneuesten weit anspruchsvoller als etwa Andrй Rieu.

St. Petersburg hat jetzt im Rosenpavillon von Pawlowsk eine kleine Gedenkausstellung an Johann Strauss und seine Nachfolger aufgebaut. Wolfgang Stanek, Wiens beruehmter Drillmeister der Debuetantinnen und neuer Partner, war herbeigeflogen, sein knuffliges Handwerk zu ueben. Das Cassino Austria spendierte Gratis-Jetons, mit denen sich im Roulette Johann-Strauss-Suessigkeiten oder oesterreichische Weine gewinnen liessen. Prof. Uwe Theimer dirigierte sein Wiener Ball-Kammerorchester im vorschriftsmaessigen Walzerschritt unter den monumentalen, kuehlen Marmorpfeilern der Festhalle.

Freundlicher freilich hatte er zuvor an der strahlend weissen, saeulenreichen Halle der Philharmonie geklungen, als die St. Petersburger Philharmoniker aufspielten: Glinkas Kamarzinskaya - Phantasie, die schon Strauss entzueckt hatte, den "Sommernachtstraum"-Scherzo von Mendelssohn Bartholdy, den "Persischen Marsch" aus Straussens eigener Feder, in Pawlowsker Komponier-Tinte getaucht.

Das alte Europa - im Gegensatz zu anderweitigen Vermutungen, war eben im kuenstlerischen Spass laengst weit staerker vereint, als man in Erinnerung trug. Diesen "Vergnuegungszug", der alsbald unaufhaltsam durch Europa rollte, hatte man erstmal in Pawlowsk auf die Schienen gesetzt, und als Lokfuehrer fungierte gewissermassen Johann Strauss mit seiner unerschoepflichen dahinwalzernden Lockpfeife.

 

Author: Klaus Geitel   Edition: Berliner Morgenpost   Date: 01.06.1999