on 01 May 2003

Frische Luft!

Bereits zum achten Mal findet diesen Sommer in den ehrwuerdigen Konzersaelen
von St. Petersburg der "Musical Olympus", dieses Gipfeltreffen musikalischer Preistraeger aus den bedeutendsten internationalen Wettbewerben, statt. Ein ebenso einfaches wie einleuchtendes Konzept, das die Pianistin und Intendantin Irina Nikitina erfolgreich durchgesetzt hat. Ein Gespraech mit der initiativen Musikerin und Kulturmanagerin sowie ein Festivalportraet.

Musik&Theater: Irina Nikitina, wann haben Sie erstmals daran gedacht, ein Festival fuer
junge Preistraegerinnen und Preistraeger musikalischer Wettbewerbe ins Leben zu rufen?

IRINA NIKITINA: (lachend)... das ist schon so lange her, 1995, und bereits ein Jahr spaeter starteten wir mit dem ersten Festival.

M&T: Was hat Sie bewogen, eine solche Veranstaltung auf die Beine zu stellen?

IRINA NIKITINA: Das war meine eigene Biografie. Ich weiss genau, wie junge
Kuenstlerinnen und Kuenstler denken, wenn sie an einem Wettbewerb einen Preis
gewonnen haben. Es scheint sich ihnen das Paradies zu oeffnen, rasch jedoch
muessen sie erkennen, dass es schon lange Schlangen von Kuenstlern gibt. Und kaum jemand kuemmert sich wirklich darum, diesen jungen, talentierten Musikern ein Debuet oder ein Konzert in einem stimmigen Ambiente und in einem guten Saal zu ermoeglichen. Dabei braeuchten genau frische Preistraeger viele Konzerte, um Erfahrungen zu sammeln und sich auf der Buehne etablieren zu koennen.

M&T: Haben Ihnen als Pianistin solche Moeglichkeiten nach Ihrem eigenen
Karrieredurchbruch gefehlt?

IRINA NIKITINA: Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen gesehen, die immer auf der Warteliste blieben, obwohl sie hoechst beachtliche Wettbewerbspreise gewonnen hatten. Wir haben heute wie zu allen Zeiten ganz wenige herausragende Meister auf einem Instrument, sehr gute Musiker hingegen gibt es eindeutig mehr als frueher. Denken Sie nur an den ganzen "Asien-Markt" in der Klassischen Musik, der im 20. Jahrhundert aufgekommen ist: Wieviele Talente kommen heute aus Korea, China oder Japan!

M&T: Russland war mit seinen Schulen und Konservatorienstets fuer ein besonders hohes Niveau in der Ausbildung von Musikerinnen und Musikern bekannt. Ist das noch immer so?

IRINA NIKITINA: Alle grossen Institutionen bei uns wie das Marinskij-Theater oder die Eremitage leben noch, die politischen Umstaende haben jedoch ein staendiges Hoch und Nieder zur Folge; Russland hat es in den letzten vierzehn Jahren wirklich nicht einfach gehabt. Selbstverstaendlich gilt das auch fuer alle Musiker, die um ihr taegliches Auskommen kaempfen mussten; viele sind daher auch in den Westen emigriert. Dadurch haben sie allerdings auch die Tradition russischer Schulen in den Westen verpflanzt, denken wir nur an die ganze Geigenschule von Odessa mit ihrem Einfluss!

M&T: Wie vermochte sich das Festival des "Musical Olympus" in der voellig veraenderten kulturpolitischen Situation der nachsowjetischen Aera zu behaupten?

IRINA NIKITINA: Nur in dieser Zeit wurde dieses Festival mit seiner Zielsetzung ueberhaupt notwendig. Vor zwanzig Jahren waere ich nie auf die Idee gekommen, ein solches Festival ins Leben zu rufen, damals funktionierten das kulturelle Leben in Russland und der Kulturaustausch zwischen den einzelnen Laendern sehr gut. In die Kultur und Sport wurde viel investiert: Kuenstler und Sportler bedeuteten sozusagen die Visitenkarte der
Sowjetunion. Die Idee zu diesem Festival kam in jenen Jahren auf, als auf einmal die Konzertsaele leer waren etwas, was man zuvor nicht gekannt hatte.

M&T: Wie laesst sich diese Idee, dieses Festival finanzieren? Haben Sie internationale Sponsoren?

IRINA NIKITINA: Der Start war nur dank einem Verein moeglich, der in der Schweiz gegruendet wurde. Dieser Freundeskreis liess ich von der Idee begeistern was niemals moeglich gewesen waere ohne grosse Sympathie und Zuneigung zu unserem Land. Es war so auch moeglich, einen sehr schoenen Boden fuer das Festival zu aktivieren: eine wunderbare Stadt mit einer grossen Musiktradition und ueberdies herrliche Saele und sehr gute Orchester. Musical Olympus hat den jungen Musikerinnen und Musikern frische Luft gebracht!

M&T: Hat sich "Musical Olympus" bereits so etabliert, dass es mit seinem eigenen Profil mittelfristig gesichert ist, oder koennte es von spektakulaeren Veranstaltungen wie dem Festival der "Weissen Naechte" an die Wand gedrueckt werden?

IRINA NIKITINA: Wir fuehlen uns ueberhaupt nicht erdrueckt, es gibt einfach ganz verschiedene Konzepte. "Musical Olympus" besitzt eine ganz klare Idee als Parade dieser jungen Preistraegerinnen und Preistraeger; demgegenueber sind die "Weissen Naechte" ein viel breiteres Festival, das auch Theater und Oper einbezieht. Dass unser Konzept funktioniert, kann ich an einem einfachen Beispiel erlaeutern: In den Anfaengen sahen die Leute unsere Plakate, darauf waren wohl traditionsreiche Spielorte wie das Eremitage-Theater oder der Grosse Saal der Philharmonie sowie die hervorragenden Orchester der Stadt wie die Philharmoniker oder das Orchester des Marinskij-Theaters angefuehrt
darunter jedoch waren fuenf unbekannte Namen zu lesen. Das machte die Leute sehr skeptisch. Seit zwei, drei Jahren jedoch diesen Sommer findet das festival bereits zum achten Mal statt sind die Saele voll. "Musical Olympus" hat sich ganz klar als Brand bestaetigt. Man vertraut darauf, interessante Konzerte voller Entdeckungen zu erleben. Wir haben uns so entwickelt, dass "Musical Olympus" heute eine starke private Unternehmung ist, die auf einem soliden Boden steht und sich weiter entwickeln kann.

M&T: Sie organisieren unter dem Namen Musical Olympus inzwischen auch andere
Veranstaltungen wie etwa einen spektakulaeren Ball im historischen Rahmen von Peterhof. Weshalb?

IRINA NIKITINA: Dieser Ball bot die Moeglichkeit, in einem unvergleichlichen Rahmen ein Social Event zu veranstalten und damit zu zeigen, dass es in Russland durchaus eine kultivierte und kulturinteressierte Gesellschaft gibt, die nichts mit dem Klischee der neureichen Russen oder gar der Mafia zu tun hat. Gleichzeitig bot mir der Ball die Moeglichkeit, ein breiteres Publikumsinteresse fuer das Festival zu wecken. Ausserdem war mir der impuls von Johann Strauss wichtig, der hier in St. Petersburg in Pawlowsk nicht
bloss waehrend rund zehn Jahren musikalisch die Sommermonate praegte. Johann Strauss war es auch, der ungemein wichtige musikalische Impulse vermittelte. Er war der Leiter der ersten Russischen Philharmonie und dirigierte beispielsweise erstmals Musik von Richard Wagner in St. Petersburg. Strauss brachte also zeitgenoessische Musik nach St. Petersburg.

M&T: Dieses Jahr feiert die Stadt St. Petersburg das 300-jaehrige Jubilaeum ihrer Gruendung. Bestimmt dieses Stadtjubilaeum auch Ihr Festival?

IRINA NIKITINA: Das ist ein grosses Problem, da es kein koordiniertes Programm fuer dieses Ereignis gibt. Das ist besonders fuer das einheimische Publikum traurig, da sich alle Aktivitaeten darauf konzentrieren, Gaeste nach St. Petersburg zu bringen. Um die Einwohner kuemmern sich diese Veranstaltungen nicht. Wir hingegen wollen sowohl Leute nach St. Petersburg bringen als auch den Einheimischen grosse Konzerterlebnisse vermitteln.

M&T: Immerhin verspricht ja bereits der Name des Festivals "Olympische" Weihen! Und Sie sind in ganz anderem Zusammenhang ebenfalls "olympisch" ausgezeichnet worden.

IRINA NIKITINA: Ja, dieser Preis bedeutet mir sehr viel, zumal er auch mit der Bezeichnung eine Bruecke zu meinem Festival schlaegt: Ich wurde mit einem "Olympia" als "Frau des Jahres 2001 fuer Kunst und Kultur" in Russland 2001 ausgezeichnet. Dieser nationale Preis wird von den Freien Medien und der russischen Regierung gemeinsam vergeben.

 

Author: Andrea Meuli  Edition: Musik & Theater  Date: 01.05.2003